Rückblick auf das Jubiläumskolloquium
von Jens Beutmann

 Am Buß- und Bettag 2022 haben wir unser Jubiläumskolloquium durchgeführt. Ich möchte hier eine knappe und durchaus subjektive Zusammenfassung dieser sehr schönen, aber auch anspruchsvollen Veranstaltung geben.

Oberbürgermeister Sven Schulze, Foto Norbert Engst

Nach den Grußworten unseres Oberbürgermeisters und von Markus Franke vom Kulturministerium (für die zum Ausdruck gebrachte Wertschätzung sei beiden gedankt) begann Wolfgang Uhlmann den Reigen der wissenschaftlichen Vorträge. Er schilderte die Geschichte unseres Vorgängervereins, dessen Gründung am 13.12.1872 stattgefunden hat und somit Anlass für das Kolloquium war. Mich hat beeindruckt, was der Verein im 19. Jahrhundert alles auf die Beine gestellt hat, als er in Chemnitz praktisch die einzige Institution war, die sich um die Erforschung der Geschichte und den Erhalt des kulturellen Erbes der Stadt gekümmert hat. Dass Wolfgang Uhlmann ein solches Thema auch immer unterhaltsam darstellen kann, hat niemanden im Verein überrascht. Es wurde aber auch deutlich, dass eine detailliertere Erforschung der jüngeren Geschichte des Vereins für Chemnitzer Geschichte bis 1945 sehr wünschenswert wäre.

Stephan Pfalzer bei der Beantwortung von Fragen, Foto: Norbert Engst

Die anschließenden beiden Vorträge von Stefan Thiele und Ulrike Budig zeigten noch deutlicher, dass Chemnitz ohne die Sammlungstätigkeit des Vereins heute viel ärmer an Kulturerbe wäre. Wichtige Kunstwerke, die heute im Schloßbergmuseum gezeigt werden, wurden so bewahrt, wie Thiele an vielen Beispielen demonstrierte. Auch Kuriosa wurden damals aufgehoben, darunter eine Scheibe Schwarzbrot, die aus dem Hungerjahr 1848 gestammt haben soll. Dieses Stück, das heute ein Highlight in jeder kulturhistorischen Ausstellung wäre, hat die Zeitläufte leider nicht überlebt. Dagegen bewahrt das Stadtarchiv noch heute mehr als 20 Regalmeter an Aktenbeständen der Geschichtsvereinssammlung auf. Ulrike Budig wies daraufhin, dass „nicht-amtliche“ Dokumente im 19. Jahrhundert von keiner staatlichen Stelle gesammelt wurden und so viele Schriftstücke und Bildwerke aus der Wirtschafts-, Kultur- und Alltagsgeschichte nur auf diesem Weg auf uns gekommen sind. Aber auch zur Geschichte des Vereins selbst sind umfangreiche Bestände erhalten, die der wissenschaftlichen Aufarbeitung harren.

Grischa Vercamer, Foto: Karin Meisel

In der zweiten Sektion kam die Chemnitzer Regionalgeschichtsforschung nach dem Zweiten Weltkrieg zur Sprache. Zunächst sprang das Stadtarchiv in die durch die Auflösung des Vereins gerissene Bresche und knüpfte mit den „Beiträgen zur Heimatgeschichte“ an dessen Tradition an, wie Stephan Pfalzer berichtete. Meine persönlich wichtigste Erkenntnis aus seinem Vortrag: Quellennähe kann vor politischer Vereinnahmung schützen! Anschließend brachte Jörn Richter das Wirken seines Vaters Gert Richter in Erinnerung, der als Stadtarchivar auch die treibende Kraft in den ersten Jahren des neugegründeten Chemnitzer Geschichtsvereins war. Sommerfeste mit fünfstelligen Besucherzahlen und Jahresplanungen mit fünfstelligen Jahresetats dank AB-Maßnahmen lassen den heutigen Vorsitzenden ein wenig erschauern vor den Möglichkeiten und Herausforderungen dieser Zeit. Gabriele Viertel ging zum Schluss dieser Sektion auf die wiedererstandenen „Mitteilungen des Chemnitzer Geschichtsvereins“ ein. Hier konnte ab 1991 in kurzer Folge ein eindrucksvolles Publikationsprogramm verwirklicht werden, auch, weil in der DDR doch ein erheblicher „Publikationsstau“ entstanden war, wie Viertel betonte. Die Vorträge dieser Sektion, insbesondere die beiden letzten, beschworen – meist wohl angenehme – Erinnerungen bei vielen anwesenden Vereinsmitgliedern hervor. Jedenfalls konnte auch ich mich der aufkommenden leichten Nostalgie nicht ganz entziehen – obwohl ich selbst ja nicht dabei gewesen bin.

Caroline Förster, Foto: Norbert Engst

 Die dritte Sektion begann mit einem sehr aufmunternden und zukunftsgerichteten Grußwort von Judith Matzke (Verein für sächsische Landesgeschichte), das gewissermaßen auch den Ton setzte für den anschließenden Vortrag von Caroline Förster, die uns die Arbeit des Dresdner Geschichtsvereins näherbrachte. Dass dieser Verein mit den „Dresdner Heften“ und einer hauptamtlichen Geschäftsführerin (nämlich ihr selbst) in einer anderen Liga spielt, wussten wir ja eigentlich. Aber was die Dresdner z.B. unter dem Hashtag („Projekte“ war gestern) „#fetziges Geschichtszeugs“ machen, ist auch für uns inspirierend, wie der Applaus der Zuhörer:innen zeigte. Grischa Vercamer, Professor für Regionalgeschichte der TU Chemnitz, sprach anschließend über das manchmal schwierige und manchmal fruchtbare Verhältnis von Laien und akademischen „Profis“ in und um die Geschichtsvereine. An Beispielen aus dem „langen 19. Jahrhundert“ (d.h. die Zeit bis 1918), zeigte er, wie erst die Geschichtsvereine zur Professionalisierung der historischen Wissenschaft entscheidend beitrugen, wie dann aber manchmal Überheblichkeit der Akademiker und Methodenignoranz der Amateure zu erheblichen Konflikten führen konnten. Wir wissen es umso mehr zu schätzen, dass Prof. Vercamer bei uns vorgetragen hat und auch einer weiteren Zusammenarbeit keinesfalls aus dem Weg gehen möchte.

Gunnar B. Zimmermann, Foto: Karin Meisel

Nach einem verlesenen Grußwort von Johannes Mötsch, dem Vorsitzenden des Gesamtvereins der deutschen Altertumsvereine kam dann Gunnar B. Zimmermann (Uni Hamburg und Hamburgischer Geschichtsverein) zu seinem Abendvortrag. Er bot einen methodologischen Parforce-Ritt zu der Frage, wie man eine kritische Erforschung der Geschichtsvereine in der Zeit zwischen 1918 und 1945 angehen kann und damit einen äußerst passenden Schlusspunkt unserer Veranstaltung. Dass die Beschäftigung mit der eigenen Geschichte nicht nur der Selbstvergewisserung dienen kann (so nötig das manchmal auch erscheinen mag) machte er ebenso deutlich, wie das Erkenntnispotenzial, das sich auftut, wenn man mit einem vielfach aufgefächerten Werkzeugkasten und komplexen Fragestellungen an das von den Geschichtsvereinen hinterlassene historische Material herangeht. Ich hoffe, dass mein nicht nur an die anwesenden Studierenden gerichteter Appell, dies auch mit dem im Stadtarchiv vorhandenen Quellenmaterial des Vereins für Chemnitzer Geschichte zu versuchen, nicht ungehört bleibt.

Zum vertiefenden Lesen hier noch einschlägige Literatur aus der Feder unserer Vortragenden:

Wolfgang Uhlmann: Vom Verein für Chemnitzer Geschichte zum Chemnitzer Geschichtsverein 1990 e.V. In: Sächsische Heimatblätter 60/4, 2014, 434-440.
Stefan Thiele: Der Verein für Chemnitzer Geschichte und seine Sammlung. In: Frederic Bußmann und Brigitta Milde (Hrsg.): »Im Morgenlicht der Republik« 100 Jahre Kunstsammlungen Chemnitz (Chemnitz 2020) 98-123.
Gunnar B. Zimmermann: Bürgerliche Geschichtswelten im Nationalsozialismus: der Verein für Hamburgische Geschichte zwischen Beharrung und Selbstmobilisierung (Göttingen 2019)


 

Das Empfangskomitee: Patrick Lohse, Ullrich M. Rasche und Regina Hähle, Foto: Karin Meisel
Erfreulich war die rege Beteiligung von Studierenden der TU Chemnitz, Foto: Karin Meisel
Schon ein Stück Vereinsgeschichte: Gabriele Viertel und Wolfgang Uhlmann, Foto: Karin Meisel
Jens Beutmann und Friedrich Naumann in sichtlich guter Laune, Foto: Karin Meisel
Das Wichtigste bei Tagungen: Die Gespräche am Rand, hier mit Thomas Schuler (Mitte), Foto: Karin Meisel


 
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