100 Jahre Jahrmarkt auf der Planitzwiese

 

Als 1900 der Vorort Gablenz nach Chemnitz eingemeindet wurde, ergaben sich für bisher unbebaute, brachliegende Gebiete neue Möglichkeiten.

Während die Stadt Chemnitz dem Staatsfiskus eine größere Schenkung für den Bau neuer Kasernen am Zeisigwald machte und die Straße zu den künftigen Kasernenbauten nach dem sächsischen General und Kriegsminister „Edler von Planitz“  als Planitzstraße benannte, entstand im Verlauf der Jahre für die unterhalb der Kasernen existierende Freifläche der Namen „Planitzwiese“. Hier sollten künftig Turn- und Sportfeste und andere Großveranstaltungen stattfinden.
So wurde bereits im Jahr 1903 ein großes Zelt für 5.000 Besucher errichtet, in dem unter dem Titel „Deutschland in Waffen“ historische Ereignisse des deutsch-französischen Krieges von 1870/71 zur Darstellung kamen. Es sollte in den nachfolgenden Jahren nicht die einzige Schauveranstaltung mit militärischem Inhalt auf der Planitzwiese bleiben. Insbesondere nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 wurde der Festplatz wiederholt für Militärparaden bzw. Schauvorführungen genutzt.

     

Kasernen und Planitzwiese (1)
 

Ein besonderer Höhepunkt im Sportgeschehen der Stadt war auch das 3. Sächsische Kreisturnfest vom 15.- 18. Juli 1905 mit über 14.000 Sportlern auf der Planitzwiese. Vor allem massenturnerische Übungen aber auch Geräteturnen im Freigelände an 40 Barren, 20 Recks und 6 Turnpferden fanden statt.

     

Festplatz (2)
 

Außer diversen Bierzelten wurde ebenfalls eine Festhalle errichtet, die recht beachtliche Dimensionen aufwies (107m Länge, 42m Breite, 16m Höhe) und in der die entsprechenden Ehrungen bzw. Festlichkeiten vorgenommen wurden.
Zirka 89.000 Besucher sollen diese sportlichen Höhepunkte verfolgt haben.

     

 

Festhalle (3)
 

 

Abzeichen zum 3.Sächsischen Kreisturnfest (4)
 

 

Im nordwestlichen Teil des Freigeländes Planitzwiese in Richtung Gellertstr. / Reinhardtstraße (die Zietenstraße endete damals an der Planitzstr.) wurde bereits im September 1905 eine Kreistierschau durchgeführt, bei der insbesondere das vorgeführte Großvieh allgemeines Interesse fand.

Kreistierschau (5)
 

   

Einen Monat später im Oktober 1905 lockten Militärkapellen mit ihren Vorführungen 63.000 Zuschauer auf das ehemalige Festgelände, wo gleichzeitig eine „Aeronautische Ausstellung“ in der vorhandenen Festhalle stattfand. Auf dem Freigelände der Festwiese wurden Schauvorführung mit Ballon-Aufstiegen und anderen für die Entwicklung der Luftfahrt in Chemnitz interessanten Beiträgen durchgeführt.

 

   

Reklamemarke (6)
 

Nach dem Abbau der Festhalle wurde in dem östlich angrenzenden Gelände im Jahr 1906 eine kleine, viergleisige Straßenbahnhalle errichtet, die schließlich 1926/27 zu einem großen Straßendepot erweitert wurde.

     

 

kleine Wagenhalle (7)
 

 

neues Straßenbahndepot (8)
 

Entwurf des neuen Straßenbahndepots an der Planitzstraße von
Renschka & Palitzsch
Beton- und Eisenbetonbau G.M.B.H. (9)
 

Die vorhandenen ehemaligen Wagenhallen, die nach 1976 zwischenzeitlich als Betriebshof für die Nahverkehrsbusse bis 1995 und anschließend bis 2012 für eine Go-Kart-Bahn genutzt wurden, mussten mittlerweile dem Bau des neuen Fußballstadion an der Gellertstraße weichen.

     

 

Betriebs- und Wartungshof für Nahverkehrsbusse (10/11)
 

 

Go-Kart-Bahn und Fan-Treff des CFC (12/13)
 
 
Abriss des ehemaligen Straßenbahndepots (14-17)
 
 
     

Aber Ausstellungen bzw. Schauvorführungen sollten auch in den nachfolgenden Jahren von 1906  bis zum Ende des Freigeländes 1955/56 durchgeführt werden.

Besonders bekannt wurde die Planitzwiese vor allem als Volksfestplatz, dessen aktueller Nachfolger heute auf dem Hartmannplatz an der Hartmannstraße stattfindet.

Ursprünglich fand zweimal jährlich ein Jahrmarkt vor allem an der Nordstraße (Schlossteichnähe) statt. Mit dem Bau des städtischen Elektrizitätswerkes (1893/ 94) und dessen ständige Erweiterungen war dieser Platz nicht mehr geeignet, da dort zunehmend Kohlen gelagert werden mussten.

 

Deshalb fanden ab 1913 auf Beschluss der Stadtverwaltung dreimal im Jahr (Mai /Juli / Oktober) auf der Freifläche an der Planitzwiese Jahrmärkte statt, die Volksfestcharakter hatten. Um der Marktleitung, der Notfallhilfe und der Polizei für diese Zeit eine Zentrale zu schaffen, wurde ein Marktgebäude errichtet, welches zu DDR-Zeiten als Kindergarten und seit 1998 vom Kinder- und Jugendhaus „Substanz“ genutzt wird.

 

     

früheres Marktgebäude (18)
 

 

heute Kinder- und Jugendhaus "Substanz" (19/20)
 

Zu den besonderen Attraktionen des Volksfestes gehörten das Riesenrad, viele Karussells und Schießbuden. Aber auch Würfel-, Los- und Zauberbuden prägten das Geschehen. Besonders beliebt waren die Schaukämpfe der Boxer bzw. der Ringer im Zelt, bei denen gern das Publikum einbezogen wurde. Gestellte zivile Kämpfer erweckten den Eindruck, dass auch der „einfache Mann“ gegen die Athleten bestehen konnte. Nachdem diese „Amateure“ die Schau etwas aufgemischt und kleinere Prämien erhalten hatten, wagten sich dann doch ein paar Mutige aus dem Publikum auf die Kampfbühne. Dort wurden diese aber tüchtig zum Gaudi des Publikums vermöbelt.

 

Auch ein Publikumsliebling war der Seyfert, Oskar – ein Marktschreier aus Leipzig. Mit humoristischen Einlagen pries er seine Artikel wie Hosenträger, Reißverschlüsse und vieles andere an. Außer dem stets schallenden Gelächter der Anwesenden kaufte mancher doch dies und jene Kleinigkeit.

Für die Kinder hatte der Türkische Honigmann stets etwas zum Schleckern, aber auch Puffreis bzw. kandierte Äpfel gab es zum Kaufen.

     

Jahrmarkt auf der Planitzwiese (21)
 

In den Übergangsmonaten konnten Zirkusse (Krone, Sarrasani, Probst, Busch u.a.) auf dem Freigelände gastieren und ihre großen Veranstaltungszelte sowie ihre Wohnwagen aufbauen.

Eine besondere Attraktion war der große Winterzeltbau vom Zirkus Sarrasani aus Dresden. Mit acht Stahlrohrmasten (Höhe: 28m), die von weiteren 24 mit Stahlseilen verspannten Masten gehalten wurden und die gesamte Zeltkonstruktion (78m Durchmesser) trugen, konnten bis zu 10.000 (!) Zuschauer artistische Meisterleistungen und Tierdressuren verfolgen.

Die rechte Seite des Platzes war für die eigene Tierschau vorgesehen. Das Brüllen der Löwen und das Trompeten der Elefanten war vor allem nachts auf dem Sonnenberg zu hören.

     
Zirkus Sarrasani gastiert auf der Planitzwiese (22)
 

 

eine Zeltstadt (23)
 
  Tierschau (24)
 
Zirkus Sarrasani im Lichterglanz bei Nacht (25)
 

Im Zusammenhang mit der großen Wohnungsnot in den Jahren 1926 - 1934 entstanden am östlichen Rand der Planitzwiese an der Hausenstraße anfangs zwei und später sechs Notbaracken, wo kleinere Gärten davor das Bild etwas freundlicher gestalten sollten. Die angrenzende Kleingartenanlage „An der Planitzwiese“ ermöglichte dies.

Lage der Notbaracken auf der Planitzwiese (26)
 

 

Notbaracken (27/28)
 

Neben dem bereits erwähnten Straßenbahndepot an der Gellertstr./ Planitzstraße wurde im Juli 1933 mit dem Bau eines Sportstadions begonnen und dieses schließlich am 13. Mai 1934 eingeweiht. Das Eröffnungsspiel des PSV Chemnitz gegen die SpVgg Fürth endete mit einem 5:1 Sieg der Platzmannschaft vor 25.000 Zuschauern. Jahre später (1953) wurde mit über 27.000 Menschen ein neuer Zuschauerrekord bei einem Fußballspiel von Chemie Karl-Marx-Stadt erreicht.

     

Bau des Stadions an der Planitzstraße (im Hintergrund die Stiftung von Eugen Esche)(29)
 

 

Erwin Helmchen Stürmer vom PSV (30)
 
  Walter Weggel Torwart vom PSV(31)
 
 
Stadion im Jahr 2009 (32/33)
 
 
Stadion-Neubau 2015 (34/35)
 
 
Stadion-Neubau 2015 (36/37)
 

Aber auch zu militärischen Aufmärschen wurde die Planitzwiese genutzt. Aus Anlass von Ausstellungen zur Wehrkraft besonders am „Tag der Wehrmacht“ bzw. an „Heldengedenktagen“ wurden eine Vielzahl von militärischen Einheiten und Waffentechnik zur Schau gestellt.

Aufmarsch auf der Planitzwiese 1937(38)

 

Bei den Bombenangriffen auf Chemnitz im Jahr 1945 waren auch das Straßenbahndepot bzw. die Kasernen Abwurfziele. Nur glücklichen Witterungsbedingungen war es zu verdanken, dass viele Bomben in den naheliegenden Zeisigwald einschlugen. Allerdings wurden auch dort geflüchtete Menschen getötet.

Einschläge auf der Planitzwiese und schwere Zerstörungen von Wohngebäuden entlang der Planitzstraße zwischen der Würzburger und der Münchner Straße waren das Ergebnis des Angriffs am 2./3. März 1945. Die wenigsten Treffer bekamen dabei die Kasernen ab.

 

   

Bombeneinschläge im Bereich Planitzwiese/ Kasernen (39)
 

 

Mit einer Ansprache des Oberbürgermeisters Müller bei einer Kundgebung auf der Planitzwiese am 20.04.1947 und einem anschließenden Platzkonzert durch das Philharmonische Orchester Chemnitz wurden die freiwilligen Arbeitseinsätze des Jahres eröffnet.

Nachfolgend sollte eine Menge Trümmerschutt an der nördlichen Seite der Planitzwiese zum Wald hin aufgefüllt werden und stellte später immer wieder eine Gefahr für spielende Kinder dar.

Werbung NAW (40)
 

   

Mit Ende des 2. Weltkrieges nahm die Rote Armee von den Kasernen Sofortbesitz und zog einen großen Teil der Planitzwiese zur militärischen Nutzung ein.

Während es zu Beginn noch Sturmbahnen mit Eskaladierwand, Balancierbalken, Kletterhauswand, Kriechhindernis mit Stacheldraht und Zielwurf aus dem Schützengraben waren, wurden 1956 große Teile der Planitzwiese eingezäunt. Anfangs bestand diese Begrenzung aus einem Bretterzaun. Später wurde an dessen Stelle eine Betonmauer errichtet und mit Stacheldraht gesichert. Diese sollte den neu entstandenen riesigen Garagenkomplex für die Artilleriefahrzeuge und Kanonen vor neugierigen Blicken schützen. Das erweiterte Militärareal reichte somit bis an das ehemalige Jahrmarktsgebäude heran und wurde mit zwei bewachten Zufahrten für die Militärfahrzeuge durchgängig gemacht. In den nachfolgenden Jahren rückten dann wiederholt Kettenfahrzeuge mit den Haubitzen zu den unterschiedlichsten Übungen aber auch militärischen Einsätzen (1968 Prag) aus. Der dadurch verursachte Lärm und Dieselgestank hinterließ bei vielen Sonnenbergern unangenehme Erinnerungen.

 

Kasernen mit "Ummauerung" (41/42)
 

     

Im westlichen Teil der ehemaligen Planitzwiese vollzog sich eine andere Entwicklung.

Am 1. Dezember 1965 gründete sich die Garagengemeinschaft „Leninstraße“, um nachfolgende Garagenbauten zu errichten. Für 150 Garagen wurden im Frühjahr 1966 die ersten Erschließungsmaßnahmen durchgeführt und etappenweise die Garagenblöcke errichtet. Der ständig wachsende Garagenbedarf brachte es dann mit sich, dass bis zum Jahr 1972 im vorderen Komplex  250 Garagen gebaut wurden. Zur gleichen Zeit vollzog sich ein weiterer Garagenhofbau im hinteren, nördlichen Teil der Planitzwiese.

 

    Garagen (43)
 
Garagenhof (44)
 

Erst nach dem Abzug der sowjetischen Militärtruppen (1993) begann eine schrittweise Neugestaltung der Planitzwiese zum Gewerbegebiet. Den Anfang dabei machten die Rekultivierungsmaßnahmen bzw. der Austausch des stark konterminierten Bodens. Tankstellen, Batterieladestationen und Ölabscheider im Fuhrparkbereich hatten große Umweltschäden angerichtet und vieles musste abgerissen (16.000 m³ Bauschutt) werden. 

     
 
Abzug der sowjetischen Militärtruppen (45/46)
 
 
ehemaliger Appellplatz (47)
 
  "Nachlass" (48)
 
beräumtes Kasernengelände (49)
 

 

Mit dem Bau des Umspannwerkes an der westlichen Planitzwiese 1993 verschwand auch die letzte, parallel zum Fußballstadion existierende Sturmbahn mit all ihren Hindernissen und die Energieversorgung für das entstehende Gewerbegebiet wurde gesichert.

Umspannwerk (50)
 

   

Ab dem Jahr 1996 konnten die ersten Gewerbebetriebe und Kaufmärkte ihren Betrieb auf der sanierten 64.000 m² Fläche aufnehmen. Während die Märkte oft ihren Betreiber wechselten, konnte sich nach Bau und mit der Inbetriebnahme des Reha-Zentrum der ADMEDIA ab Januar 2002 ein kontinuierlicher Geschäftsbetrieb entwickeln.

     
 
Gewerbegebiet Planitzwiese 2008 (51-54)
 
 
    ADMEDIA
 
 
Reliefs der Fleischerinnung am Gebäude der FLEIGENO (55/56)
 

Mit dem Kindergarten ADMEDINO (2008) und dem „PflegeWohnen Bethanien“ (2012) wurden zwei wichtige Einrichtung zur Betreuung von jungen und alten Menschen errichtet.

     

 

Kindergarten ADMEDINO (57)
 

 

PflegeWohnenBethanien (58)
 

Im Juli 2015 sollen die ersten Gebäude der auf dem ehemaligen Kasernengelände errichteten Körperbehinderten-Schule in Betrieb genommen werden.

Damit ist auch die Militärgeschichte auf diesem Terrain endgültige Vergangenheit und eine friedliche Perspektive angebrochen.

     

 

Abriss Kasernen (59)
 
  Neubau Körperbehindertenschule (60)
 

Bauzustand der Körperbehindertenschule am 28.04.2015 (61)
Autor: Jürgen Eichhorn    

Bildquellen:

Archiv Jürgen Eichhorn: 5, 18, 21, 26 - 28
Archiv Petra Habelt: 1-4, 6 - 9, 12-17, 19, 20, 23-25, 29-37, 43, 50-61
Archiv Torsten Bosecker: 22, 38
Archiv Hilmar Uhlich: 47-49
Sammlung Gaebler/Papst: 10, 11, 41
AG Sonnenberg-Geschichte: 39, 42, 44 -46

zurück