Einst "Europa-Lichtspieltheater" - Künftig ein "Fenster in die Erdgeschichte"

Erinnerungen an das Kino "EUROPA"

Im Dezember 2006 schlug die letzte Stunde für das Saalgebäude des Kinos „Europa“ mit der Adresse Hainstraße 36.

 

Ballhaus "Goldene Kugel" - Eingang an der Hainstraße um 1911...

 

...und heute

 

Ballhaus "Goldene Kugel" - Eingang an der Glockenstraße (Ballsaal) um 1911...

 

...und kurz vor dem Abbruch

Ein Abrissbagger war von der Grundstückszufahrt Glockenstraße aus zu diesem alten, traditionsreichen Gebäude gefahren und zerlegte es Stück für Stück.            

Da stand ich nun mit einigen anderen Neugierigen am Tor, wo ich so oft das Kino nach der Vorstellung verlassen hatte und sah zu, wie der Bagger inmitten des Saales stand und sein Zerstörungswerk vollendete. Das Bühnenhaus war bereits mit der halben Dachfläche verschwunden, an den Wänden hingen noch Reste der alten, gelben Stoffbespannung und an der Rückwand blickten die leeren Augen der Öffnungen vom Vorführraum auf die wüste Stätte.

 

   

Dezember 2006: Das Saalgebäude im Abbruch

 

Wie viele Filme mögen während des seit 1932 bestandenen Kinobetriebes durch diese Fensterchen geflimmert sein? Und wie viele davon hatte ich selbst gesehen? Bereits als Schulkind war ich etwa seit 1947 ein eifriger Kinobesucher und noch heute liegt ein dicker Stapel Filmprogramme aus den 1950er Jahren daheim.

alte Filmprogramme

   

Das „Europa“ begleitete mich regelrecht als Stammkino durch Kinder- und Jugendzeit. Jetzt weckte der traurige Anblick des Abbruchs meine Erinnerungen

 

   

(Ab)Bruchstücke

 

Der Saalbau des Kinos war einst der Konzert- und Ballsaal „Goldene Kugel“ aus dem Jahr 1887. Im Jahr 1922 war es mit der Vergnügungsstätte zu Ende.

der Konzertsaal

 

 

Danach zog Heinrich Noskowitz mit seiner 1918 gegründeten Textilfirma, mit Kontor und Produktionsräumen, in die das ehemalige Ballhaus ein. Im März 1923 konnte Noskowitz sein Unternehmen, welches vor allem auf Export ausgerichtet war, unter dem Namen "GLOBUS Aktiengesellschaft für Textilindustrie" ins Chemnitzer Handelsregister eintragen lassen. Die Firma stellte Strümpfe, Trikotagen und Textilwaren aller Art her und trieb auch Handel damit. Vor allem Damenstrümpfe fanden in England einen sehr guten Absatz. Als jedoch im Jahr 1930 das Britische Pfund und damit auch Noskowitz' Lagerbestände in England eine starke Abwertung erfuhren, standen am Ende des Geschäftsjahres fast 285.000 RM Verluste zu Buche. Schließlich entschied sich Noskowitz den Betrieb zum Ende des Geschäftsjahres 1932 zu schließen. Er verkaufte seine Maschinen und ging nach England, um dort in der Nähe von Nottingham als Manager eine Filiale der Textilfirma "Johnson & Barnes Ltd." mit aufzubauen. Ab 1. Januar 1933 verpachtete Noskowitz die ehemaligen Fabrikationsräume in der Hainstraße 36. Nach erfolgreichem Verkauf des Geländes, wurde die Firma "GLOBUS Aktiengesellschaft für Textilindustrie" aus dem Handelsregister gelöscht. (Quelle: Recherchen von Dr. Nitzsche)
 

Als Nachfolger baute die „Gloria-Lichtspiele GmbH“ den Saal zu einem Kino mit 951 Plätzen um. Die Inbetriebnahme fiel passend mit der Einführung des Tonfilmes zusammen. Bereits 1934 führte ein neuer Inhaber, Otto Haufe den Betrieb als „Europa-Lichtspiele“ weiter. Mit den UFA-Filmen und deren Stars wurde das Kino zu einer neuen Kulturstätte des Sonnenbergs.

 

 

 

 der große Ballsaal

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Am Kriegsende 1945 waren 13 von den einst 18 Chemnitzer Kinos zerstört – das „Europa“ war eines der unversehrten. Im August 1945 wurde in der Sowjetischen Besatzungszone   die „Sovexportfilmgesellschaft“ etabliert. Deren Aufgabe war die zentrale Programmgestaltung mit sowjetischen Filmen. Neben dem Filmverleih übernahm man in den Städten jeweils einige Kinos – die unter „Sovexportfilm“ firmierten. In Chemnitz gehörten dazu das „Europa“ und das „Welt-Echo“ (einst Gasthaus ‚Krone’) an der Augustusburger Straße

Sovexportfilmgesellschaft

   

Damit waren regelmäßig sowjetische Revolutions- oder Kriegsfilm, wie  „Lenin im Oktober“, „Wir aus Kronstadt“ oder „Stalingrad“ im Programm. Ließ das Interesse beim Publikum nach, so tauchte dazwischen auch ein alter UFA-Unterhaltungsfilm im sowjetischen Verleih auf, der vor dem Krieg in die Sowjetunion verkauft wurde. So war im kuriosesten Fall Hans Moser oder Theo Lingen mit Untertiteln zu erleben.

Nachdem 1948 der DEFA-Filmverleih gebildet worden war und ihm 40% der Spieltermine eingeräumt wurden, wurde das Programm etwas abwechslungsreicher. Mit dem Beschluss des sächsischen Landtags vom 10.12.1948 wurden alle Kinos volkseigen und ab Januar 1949 erfolgte der Aufbau der Vereinigung der volkseigenen Lichtspielbetriebe.

 

 

 

 

   

Im Programm: Filme für Jung und Alt

 

Damit endete im Jahr 1950 die Ära des „Sovexportfilm-Kinos“ auch im „Europa“ und „Welt-Echo“ – nun als volkseigene Lichtspielbetriebe mit der in der DDR neu gebildeten „PROGRESS-Filmverleih GmbH“ zur Seite.

 
Längst hatte der Zahn der Zeit  am Zustand des Kinos „Europa“ genagt und die Technik war veraltet – Renovierungsarbeiten waren nötig. Danach waren Ende der 60er Jahre die beliebten Abenteuer-, Western- und Historienfilme in Cinemaskope auf Breitwand zu erleben.  

   

ehemaliges Kino heute

 

Nach weiteren umfangreichen Erneuerungsarbeiten im Jahr 1970  wurde es unter den Namen „EUROPA 70“ wieder eröffnet. Als erstes Chemnitzer Kino (neben der Stadthalle) verfügte es über Projektionstechnik für 70 mm Kinofilm – eine Technik mit sehr guter Bildqualität. Leider kamen in diesem Format nur wenige Filme auf den Markt.

Kassen und Durchgang zum Saal

 

 

 

Kinosaal - Blick zur Leinwand

 

Kinosaal

Doch zunehmend klopfte eine Konkurrenz an die Tür: das Fernsehen ließ die Epoche des guten, alten Kinos zu Ende gehen, so auch des „Europas“. Im Jahr 1992 von der UFA-Theater GmbH übernommen, schloss das Kino 1998 wegen zu geringer Besucherzahlen seine Tore.  

   

Vorführraum

 

 

Nach dem Abbruch des Saalgebäudes im Dezember 2006 erinnert an der Hausfront der Hainstraße 36 nur noch die Leuchtschrift an die alten Zeiten. Und durch den Zaun an der Glockenstraße war anstelle des Saalgebäudes nur grüner Rasen zu sehen.

 

heute noch vorhandene Leuchtschrift - ohne Licht

 

 

Inzwischen hat sich auch das verändert. Eine Suchschachtung  im Jahr 2009 legte die mit Abbruchmassen verfüllten Kellerräume frei und ein neues Vorhaben kündigt sich an.

Voraussichtlich wird in einigen Jahren hier wieder Neues zu bestaunen sein: Ein "Fenster in die Erdgeschichte" soll in den Untergrund gegraben werden.

 

 

 

zukünftige Ausgrabungsstätte?

 

Nach den Plänen des Museums für Naturkunde Chemnitz wird man dann Teile des Versteinerten Waldes von Chemnitz sehen, der durch vulkanische Ereignisse vor 300 Millionen Jahren gebildet wurde.

Damit wäre der Ort des einstigen Kinos wieder ein interessanter Anziehungspunkt.

 

Hilmar Uhlich

Bautafel im Februar 2011

   

Eröffnung der Ausgrabungsstätte am 24. 11. 2011

 

     

 

Bilder von der Museumsnacht am 25. Mai 2013

 

     

 

     

 

Bildquelle: 1, 3, 8, 9, Sammlung Petra Habelt
                   2, 4 - 7,10 -13, 18, Hilmar Uhlich
                   14 - 17, Dirk Rymer
                   19 - 30, Petra Habelt

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