Vor 160 Jahren wurde in Sachsen die Gewerbefreiheit eingeführt

von Dr. Wolfgang Uhlmann

Ab 1800 bis 1850 vollzog Sachsen als erster deutscher Staat den Übergang vom Agrar- zum Industrie-Agrarstaat. Diese Entwicklung wurde aber durch die noch bestehende feudale Gesetzgebung behindert. So verlangten die Zünfte, dass in den Fabriken anfallende Reparaturarbeiten nicht von diesen selbst ausgeführt würden, sondern, dass zünftige Glaser, Tischler u. a. damit beauftragt würden. Deshalb forderten in den fünfziger und sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts die sächsischen Unternehmer die Einführung eines neuen, den veränderten Produktionsverhältnissen entsprechenden Gewerbegesetzes, einschließlich der Einführung der Gewerbefreiheit. Am 10. Januar 1852 bat der Chemnitzer Kaufmännische Verein in einer Petition an die II. Kammer die Abgeordneten um Unterstützung bei der Regierung, dass für Chemnitz und Umgebung

„a) ein Handelsgericht nach Verfassung des Leipziger Handelsgerichts, jedoch unter Berücksichtigung der lokalen Verhältnisse und der in neuerer Zeit bezüglich dieser Institute gemachten Erfahrungen ingleichen

b) Fabrik- und Gewerbegerichte nach Art der französischen, belgischen oder rhein-preußischen baldigst eingerichtet, sowie für den gesamten Staat,

c) ein Gesetz über Muster- und Markenschutz in ähnlicher Weise, wie solches in Frankreich und Rheinpreußen besteht, erlassen werde.“

In der Beratung der II. Kammer am 20. Januar 1852 erklärten mehrere Abgeordnete, dass dies eine Angelegenheit sei, die das ganze Land betreffe. Für die Erarbeitung eines entsprechenden Gesetzes für Sachsen stimmten alle 69 Anwesenden mit Ja. Aber es sollte nochmals fast ein Jahrzehnt vergehen bis ein solches Gesetz beschlossen wurde. Die lange geforderte Gewerbefreiheit wurde erst 1861 durch das Gewerbegesetz vom 15. September verwirklicht, das am 1. Januar 1862 in Kraft trat. Großen Anteil an der Ausarbeitung des Gesetzes hatte der Ministerialdirektor Christian Albert Weinlig (1812 – 1873). Die wichtigsten Bestimmungen waren:

- Jedermann, der das 24. Lebensjahr vollendet hatte, konnte nun ohne Unterschied des Geschlechts, also auch Frauen, ein Gewerbe betreiben,

- die unterschiedlichen rechtlichen Bestimmungen für Stadt und Land kamen in Wegfall,

- der Beitrittszwang der Handwerker zu den Innungen wurde aufgehoben,

- Fabrikanten und Kaufleute erhielten die Genehmigung zur Bildung von Handels- und Gewerbekammern,

- Einsetzung von Fabrikinspektoren zur Einhaltung der Gesetze, insbesondere des Arbeitsschutzes (aus ihnen gingen später die Gewerbeaufsichtsämter hervor),

- Fabriken mit mehr als 20 Beschäftigten hatten eine Fabrikordnung nach einem vorgegebenen Schema zu erlassen,

- Kinderarbeit war für Kinder unter zwölf Jahren verboten

Um den Wortlaut des Gesetzes war hart gerungen worden. Der Chemnitzer Abgeordnete in der II. Kammer, Moritz Eisenstuck, hatte im Auftrag der Unternehmer eine Reihe von Änderungsanträgen zum Gesetzentwurf gestellt, sie betrafen den § 20: Gefährliche und belästigende Anlagen, Verunreinigung des Wassers durch Betriebe, den § 35: Verlust des Rechts zum Gewerbebetrieb und Bestimmungen des § 44: Einschränkung des Unterhaltes von mehreren Verkaufsstellen an einem Ort. Die im Entwurf des Gesetzes enthaltenen Bestimmungen legten den Unternehmern einige Beschränkungen auf. Mit großer Stimmenmehrheit erfolgte eine Änderung in ihrem Sinne. Die Notwendigkeit der Genehmigung des Staates zur Ableitung von Schadstoffen in fließende Gewässer entfiel, Steuerhinterziehung zog nicht den Verlust des Rechts zur Führung eines Gewerbebetriebs nach sich und Fabrikanten durften mehrere Verkaufsstellen an einem Ort unterhalten.

Mit dem Erlass des Gewerbegesetzes erfolgte in Sachsen ein längst fälliger Schritt, den die Preußen schon fünfzig Jahre früher vollzogen hatten.

 
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